Neue Vertikal-GVO erlassen

Die Europäische Kommission hat am 20. April 2010 eine neue Gruppenfreistellungsverordnung für Vereinbarungen zwischen Herstellern und Vertriebshändlern für den Verkauf von Waren und Dienstleistungen angenommen. Die Verordnung soll im Juni in Kraft treten und bis 2022 gelten. Sie löst die GVO 2790/99 ab, die zum 31. Mai 2010 ausläuft. Die neue Vertikal-GVO hat Auswirkungen auf eine Vielzahl von Vertriebssystemen.
Nach Art. 101 Abs. 1 des Arbeitsweisenvertrages (früher Art. 81 EGV) sind mit dem Binnenmarkt insbesondere alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen unvereinbar und verboten, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Eine solche Beschränkung kann beispielsweise bereits eine Vereinbarung hinsichtlich der einem Vertragshändler eingeräumten Rabatte darstellen. Typischerweise haben auch Wettbewerbsklauseln eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung. Aber nach Art. 101 Abs. 3 des Arbeitsweisenvertrages können von diesem Verbot jedoch bestimmte Verhaltensweisen freigestellt sein. Zu diesem Zweck können Gruppenfreistellungsverordnungen erlassen werden.
Letztmalig hatte die EU-Kommission 1999 mit der GVO 2790/99 eine Vertikal-GVO für Vereinbarungen zwischen Herstellern und Vertriebshändlern entwickelt. In seiner Pressemitteilung weist die EU-Kommission darauf hin, dass die neue GVO für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und für die Verbraucherwohlfahrt eine klare und berechenbare Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Liefer- und Vertriebsvereinbarungen unerlässlich sei. Aus diesem Grunde wird in der neuen GVO gerade dem Online-Handel eine besondere Bedeutung beigemessen. Nach Ansicht der EU-Kommission habe sich das Internet entsprechend entwickelt. Der Vertrieb über das Internet solle im Interesse einer breiteren Produktauswahl für die Verbraucher und im Interesse des Preiswettbewerbs gefördert werden.
So dürfen zugelassene Vertriebshändler die Produkte, die sie in ihren regulären Geschäften und Verkaufsstellen verkaufen, auch auf ihren Websites anbieten. Für selektive Vertriebssysteme bedeutet dies nach Ansicht der EU-Kommission, dass die Hersteller den Vertriebshändlern für den Internetverkauf weder Mengenbeschränkungen auferlegen noch höhere Preise für online verkaufte Produkte verlangen dürfen. Außerdem sei in den überarbeiteten Leitlinien klargestellt, was im Rahmen des Alleinvertriebs unter „aktivem“ und „passivem“ Verkauf zu verstehen ist. Ein Abbruch einer Transaktion oder die automatische Umleitung von Verbrauchern aufgrund von Kreditkartenangaben, die erkennen lassen, dass sich ein Käufer im Ausland befindet, sei nicht erlaubt.
Trotz des grundsätzlichen Verbots von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen können daher bei Anwendbarkeit der neuen Vertikal-GVO in bestimmten Grenzen dennoch wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zulässig sein.
Um allerdings den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung in Anspruch nehmen zu können, darf wie bisher der Marktanteil eines Herstellers höchstens 30 % betragen. Außerdem dürfen Liefer- und Vertriebsvereinbarungen keine sog. Kernbeschränkungen des Wettbewerbs (z.B. feste Wiederverkaufspreise, Einschränkungen des grenzüberschreitenden Verkaufs) enthalten.
Nach den neuen Bestimmungen gilt die bisherige Marktanteilsschwelle von 30 % nunmehr nicht nur für die Hersteller, sondern auch für Vertriebs- und Einzelhändler. Auf diese Weise soll der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass auch Abnehmer über Marktmacht mit potenziell nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb verfügen können.
Insgesamt ist festzustellen, dass die EU-Kommission den bereits mit der GVO 2790/99 eingeschlagenen Weg fortgesetzt. Gerade die besonderen Regelungen hinsichtlich der Anforderungen an den des Online-Handel wird bei vielen Vertriebssystemen eine Vertragsanpassung erforderlich machen. Damit die betroffenen Unternehmen reagieren können, sieht die Vertikal-GVO eine Übergansfrist von einem Jahr vor.
Neben der Vertikal-GVO wird es zukünftig auch wieder eine spezielle Gruppenfreistellungverordnung für den Kfz-Sektor geben. Obwohl auch die in diesem Bereich bislang gültige GVO 1400/2002 zum 31. Mai 2010 auslaufen wird, liegt bislang nur ein Entwurf der EU-Kommission vor. Die endgültige Fassung der neuen Kfz-GVO, die aller Voraussicht im Verhältnis zur GVO 1400/2002 weitreichendere Änderungen vorsehen wird, wird erst im Mai veröffentlicht werden.